Stimmungsbarometer Kinderfilm
FSK-Freigaben für die jüngsten Kinogänger
Schon die Allerkleinsten erobern den Kinosessel: 3-jährige im Großkino Gingen die FSK-Ausschüsse bislang von einer Altersgrenze ab 4 bis 5 Jahren für den ersten Kinobesuch aus, so ist zunehmend zu beobachten, dass bereits 3-jährige zur Gruppe der Kinobesucher gehören. Die nur wenig medial sozialisierten Kleinkinder sind im Kino in physischer wie psychischer Hinsicht stark beansprucht. Ein relativ kleines Sehfeld der kindlichen Zuschauer wird im dunklen Kinosaal mit einer überaus großen und eindrücklichen Leinwandhandlung konfrontiert. Die Medienerfahrungen dieser Altersgruppe über das Fernsehprogramm (Zeichentrickserien, Märchen, Soaps, etc.) können eine Verarbeitung des Filmerlebnisses im Großkino kaum unterstützen, da die Rezeptionsbedingungen von Fernsehen und Kino unterschiedlich sind. Wirkungsrisiken sind überall dort auszumachen, wo einzelne Filmpassagen oder der gesamte Film Kinder überfordern, sie übermäßig und nachhaltig erregen oder Ängste aufbauen. Auf inhaltlicher Ebene wirken insbesondere Gewaltdarstellungen, Bedrohungssituationen und Waffeneinsatz sowie Beziehungskonflikte, Unterdrückung und Demütigung belastend auf kleine Kinder. In der formalen Gestaltung können düstere Bildgestaltung, schnelle Schnittfolgen, aggressive Vertonung von Action- und Bedrohungssituationen und eine aufdringlich emotionalisierende Musikuntermalung bei dieser Altersgruppe Ängste mobilisieren. Auch Kinder ab 6 Jahren tauchen spontan in Filmgeschichten ein, sind aber schon eher in der Lage, Spannungs- und Erregungsmomente zu verkraften. Ihre kognitiven Verarbeitungsfähigkeiten erlauben dem Kind bereits Distanz zum Filmgeschehen zu entwickeln. Wenn auch die Jüngsten in dieser Altersgruppe völlig in die filmischen Helden "eintauchen" und mit ihnen durch "dick und dünn" gehen, so reift bei Grundschulkindern die Erkenntnis, dass es sich doch "nur um einen Film handelt". Das Wissen um unterschiedliche Genres und Gestaltungsformen baut sich allmählich auf. Versuch einer Beschreibung: Die Zutaten einer "kindgerechten Inszenierung" Besucherboom bei Kinderfilmen: Ein kleiner Eisbär schreibt Erfolgsgeschichte DER KLEINE EISBÄR wurde vom Arbeitsausschuss in der FSK als feinfühlig inszenierte Zeichentrickverfilmung charakterisiert. Spannende und aufregende Situationen, die der kleine Held bestehen muss, werden konsequent aufgelöst. Die Bedeutung von Freundschaft und Solidarität wird schon für jüngste Kinder verstehbar thematisiert. Auch der liebevoll gestaltete Einblick in die Lebenswelt der Eskimos und in ökologische Fragestellungen kann sich in positiver Weise auf die Rezeption von Kleinkindern auswirken. Auf der Grundlage dieser Beurteilung konnte sich der Ausschuss für eine Freigabe "ohne Altersbeschränkung" entscheiden. Dennoch erntete diese Altersfreigabe Kritik bei besorgten Eltern: "...Es durfte nicht erwartet werden, dass der Buchinhalt gleich Filminhalt geboten würde, doch, was geboten wurde, das war nicht nur inhaltlich für Kinder eine Zumutung - nein, bei der Darstellung wurde der Gewalt ein wahres Denkmal gesetzt..." Herausforderung und Kontroverse: Kinderfilmfreigaben werden öffentlich diskutiert Der computeranimierte Familienfilm SHREK - DER TOLLKÜHNE HELD (USA 2000/2001) erhielt die gesetzliche Alterskennzeichnung "ohne Altersbeschränkung". In einer für kleine Kinder vertrauten Märchenwelt erleben liebevoll gezeichnete Helden Abenteuer, die in ihrem Spannungsgehalt nie überreizen, da sie schnell positiv aufgelöst werden und von humorvollen Szenen gefolgt werden. Die klare Figurenzeichnung in "gut" und "böse", die lustige Gesamtatmosphäre, die musikalischen Einlagen und das tragfähige Happy End prägen laut Ausschuss die Rezeption von kleinen Kindern. Kritisch angemerkt wurde allerdings, dass einige Dialogpassagen im Film von Kleinkindern noch nicht verstanden werden. Dies zieht jedoch nach Meinung der Ausschussmitglieder keine beeinträchtigenden Wirkungen für die Verarbeitung von SHREK nach sich. Mit Kinostart gingen die ersten Beschwerden gegen diese Freigabe in der FSK ein: "Zu denken, eine Szene wäre weniger angsteinflößend, bloß weil statt eines Menschen ein Lebkuchenmann gefoltert wird und bloß, weil diese Folter nicht in letzter Konsequenz gezeigt, sondern nur angedeutet wird, rechtfertigt dies.... noch lange keine Freigabe für Kinder, egal ob ab 0 oder ab 6 Jahren...." Das heiß erwartete und überaus erfolgreich gespielte Fantasy-Märchen HARRY POTTER UND DER STEIN DER WEISEN (USA 2000) mit einer Filmlänge von 152 Minuten forderte vom Arbeitsausschuss der FSK eine tiefgreifende Wirkungsdiskussion. Der Arbeitsausschuss charakterisierte HARRY POTTER als phantasievollen Märchenfilm, der in Inhalt und Gestaltung kindgerecht inszeniert ist. Die erzählte Geschichte ist nachvollziehbar und in ihrer chronologischen Anlage bereits verständlich für Kinder ab 6 Jahren. Die Figurenzeichnung ist gründlich und überzeugend. Insbesondere die drei Kinderdarsteller bieten sich kindlichen Zuschauern zur Identifikation an. Erfreulicherweise gehört eine äußerst starke Mädchenfigur zum Team der positiven Helden. Die Musik unterstützt die filmische Erzählung, indem sie Spannung, Action und Bedrohung ankündigt wie auch in ruhige Dialogpassagen überleitet. Die Botschaft des Films ist eindeutig und verständlich: Freundschaft und Solidarität. Der Film ist von Beginn an so angelegt, dass die Geschichte gut ausgehen wird. Die Ausstattung des Films, die gewählten Drehorte, Kostüme und Zauberutensilien unterstreichen in ihrer Ideenvielfalt den phantasievollen Charakter des Märchens. Das Zaubern in diesem Film kann als klassisches Märchenmotiv, wie es in Kinderbüchern thematisiert wird, eingeordnet werden. Der Film wendet sich laut Ausschuss deutlich von der schwarzen Magie ab. Ausführlich beurteilte der Ausschuss die Inszenierung von Bedrohung, Action und Kampf. Die Szene mit dem Einhorn im Wald, das Zauberschachspiel und die Schlusspassage, in der die bösen Figuren in sich zusammenfallen und zerbröseln, können Kinder ab 6 Jahren beim Anschauen ängstigen und erschrecken. Da die drei kleinen Helden jedoch diese bedrohlichen Hindernisse überwinden, ist der Ausschuss der Meinung, dass diese Filmpassagen dem kindlichen Zuschauer eher Mut und Stärke vermitteln als eine Ängstigung über das Anschauen des Films hinaus hervorrufen. Die im Moment des Sehens erregenden Filmabschnitte dominieren zudem nicht die Gesamtwirkung des Films; sie sind vielmehr eingebettet in den Erzählkontext des Märchens. Von daher sprach der Ausschuss eine Freigabe ab 6 Jahren aus. Die öffentlichen Reaktionen auf die gesetzliche Freigabe zeichnen ein äußerst kontroverses Meinungsspektrum: Fordern eine Vielzahl von verärgerten Eltern, dass sie aufgrund der Kenntnis der Lektüre auf jeden Fall mit ihrem 4jährigen Kind den Film anschauen werden, so melden Eltern auf der anderen Seite größte Bedenken für Kinder unter 12 Jahren an. Das gesellschaftliche Interesse an der Altersfreigabe von HARRY POTTER aufgreifend, meldeten sich Zeitungsredakteure, Radio und Fernsehsender aus dem gesamten Bundesgebiet zu Interviewterminen in der FSK an. Als strittigster Aspekt in der öffentlichen Debatte rückte die Frage in den Vordergrund, inwieweit die inhaltliche Ausrichtung des Zauberns bzw. der schwarzen Magie Kinder ab 6 Jahren ängstigen und desorientieren könne. Kurze Auszüge aus Beschwerdebriefen verdeutlichen dies: "Dieser Film wirbt für schwarze Magie. Die Herrscher des Bösen ziehen hier kleine Kinder in ihren Bann" (Elternbrief) "Nein- schwarze Magie ist auch in Harrys Zauberschule verboten. Die Kinder identifizieren sich nicht mit dem Bösen, sondern mit Harry. Er ist fair, ein Held, der für das Gute kämpft." (Dr. Ulrich Dehn, Evangelische Kirche) "Kinder versenken sich zwar tief in die Geschichte aber sobald das Buch zugeklappt oder der Film beendet ist, ist das vorbei. Sie können sehr wohl zwischen Märchen und Wirklichkeit unterscheiden." (Karin Maria Mensch, Diplompsychologin) "Harry-Potter-Film: Kirchen geben Entwarnung" (FR 22.11.01) Schwer verdauliche Kost: Der Werbeblock vor Kinderfilmen sorgt für strittige Debatten Die im letzten Jahr publikumswirksam gelaufenen Kinderfilme wie DER KLEINE EISBÄR, EMIL UND DIE DETEKTIVE, DAS SAMS, PETTERSON UND FINDUS, ICE AGE, SHREK, HARRY POTTER und andere brachten massive Beschwerden zum Vorprogramm mit sich: Jugend- und Sozialämter, Oberste Landesbehörden, Landesmedienanstalten, Zeitungs-, Radio und Fernsehredaktionen und Initiativen von Eltern und Pädagogen meldeten sich in der FSK mit der Bitte um Information. Streitpunkt ist sowohl die Länge als auch die Themen- und Gestaltungsvielfalt von Werbefilmen und Trailern. Unterschiedlichste Inhalte werden dargeboten, die der Erfahrungswelt von Kindern völlig fremd sind. Effektvolle und zumeist rasante Inszenierungsstile beanspruchen in minütigem Wechsel die totale Aufmerksamkeit der Zuschauer. Alkoholwerbung, die sich nicht gezielt an Kinder und Jugendliche wendet, flimmert ebenso über die Kinoleinwand. Nach 20 Minuten Vorprogramm sind bei unter 8-jährigen Kindern die Rezeptionskapazitäten erschöpft. Laut Aussage vieler Eltern können die jüngsten Kinogänger den Hauptfilm gar nicht mehr bis zum Ende verfolgen und verarbeiten. Grundsätzlich wäre es wünschenswert, wenn vor Kinderfilmen gar kein Vorprogramm geschaltet würde. Denn wunderbare Kinderfilme für ein großes Publikum sollten nicht aufgrund des Problemthemas "Werbung" an ihrer Faszination "Kino" einbüßen. Über den nationalen Tellerrand hinausgeschaut: Kinderfilmfreigaben der europäischen Nachbarn Kinder und Jugendliche melden sich zu Wort: Filmanalyse und Wirkungsdiskussion mit Schülern in der FSK Wünschenswert ist eine Projektreihe mit den jüngsten Kinogängern, Kinder ab 3 Jahre, um schon während der gemeinsamen Filmsichtung die "Auftreffsituation" des Kinderfilms und die Rezeption der Kinder mitzuerleben. Von Birgit Goehnich aus "TV Diskurs" |