Landscape of difference – einige Gemeinsamkeiten und viele Unterschiede Kongress der europäischen Filmprüfstellen in Berlin

Wiesbaden, 08.09.2003

Auf Einladung der Freiwilligen Selbstkontrolle der Filmwirtschaft (FSK) und der Freiwilligen Selbstkontrolle Fernsehen (FSF) trafen sich die Filmprüfstellen aller europäischen Länder vom 3. bis 5. September 2003 in Berlin. Angesichts der rasanten technischen Entwicklung der Medien ist der Schutz von Kindern und Jugendlichen vor beeinträchtigenden oder gefährdenden Inhalten allein durch nationale Gesetze und Institutionen nicht mehr zu gewährleisten. Satellitenfernsehen und das Internet machen, im Gegensatz zum Kino- oder Videomarkt, längst nicht mehr vor den Ländergrenzen halt. Alle Teilnehmer waren sich darin einig, dass die Zusammenarbeit aller im Bereich des Medienschutzes tätigen Institutionen notwendig ist. Es besteht sonst die Gefahr, dass nationale Gesetze durch Angebote aus dem europäischen Ausland mehr und mehr wirkungslos werden.

Alexander Scheuer, Geschäftsführer des Instituts für Europäischen Medienrecht (EMR) in Saarbrücken, wies in seinem Eingangsreferat darauf hin, dass der Jugendschutz auch die EU-Kommission beschäftigt. Allerdings sei man sich in Brüssel darüber im Klaren, dass dieses Thema zunächst in die Zuständigkeit der Mitgliedstaaten falle. Ferner sei eine von der Kommission in Auftrag gegebene Studie zu dem Ergebnis gekommen, dass die völlig unterschiedlichen Systeme der Länder sowie die stark voneinander abweichenden Altersfreigaben bei Filmen bisher bei den Verbrauchern nicht zu Irritationen führen. Auch wirtschaftliche Aktivitäten würden dadurch, jedenfalls bislang, nicht nachhaltig behindert.

Dies sahen Vertreter von Fernsehen und Internet in einer nachfolgenden Podiumsdiskussion allerdings ganz anders. Früher oder später sei aufgrund der rechtlichen Rahmenbedingungen nicht mehr zu verhindern, dass beispielsweise Fernsehangebote, die in Deutschland nicht zugelassen sind, über Sender aus anderen europäischen Staaten problemlos zu empfangen seien. In Kabelnetzen grenznaher Regionen oder beim Satellitenfernsehen sei das bereits jetzt der Fall. Fernsehprogramme, die in einem Land der EU mit den dort geltenden Regelungen übereinstimmen, müssten nach der EG-Fernsehrichtlinie auch in anderen Ländern weiterverbreitet werden, wenn die Anbieter das wollen. Dies spielt vor allem bei sexuellen Darstellungen eine große Rolle. Was in Deutschland als Pornographie gilt und im Fernsehen völlig verboten ist, wird in anderen Ländern ab 12 oder 15 Jahren freigegeben. Auch Filme, die in Deutschland wegen ihren Gewaltdarstellungen auf der Liste der jugendgefährdenden Medien stehen und damit im Fernsehen nicht ausgestrahlt werden dürfen, sind beispielsweise in Frankreich ohne jede Beschränkung verfügbar. In Deutschland verbotene bzw. nur im Rahmen geschlossener Benutzergruppen zugängliche Internetangebote könnten Anbieter dazu verleiten, ins Ausland abzuwandern. Dem Jugendschutz werde damit nicht gedient, da die Inhalte weiterhin in Deutschland problemlos verfügbar seien.

Die Berichte aus den einzelnen Ländern machten noch einmal deutlich, wie eng der Jugendschutz mit kulturellen Traditionen verbunden ist und dadurch einen völlig unterschiedlichen Stellenwert in den Gesellschaften hat. In den Niederlanden wurde vor zwei Jahren die staatliche Filmkeuring abgeschafft und durch ein System der Selbstkontrolle ersetzt. Allerdings werden dort die Alterseinstufungen, anders als in den deutschen Selbstkontrolleinrichtungen, durch die anbietenden Firmen selbst vergeben. In Frankreich herrscht zwar ein Vorlagezwang für alle Kinofilme, allerdings werden über 90 % ohne jede Altersbeschränkung freigegeben. Im Gegensatz zu Deutschland stößt das Thema Jugendschutz in der Öffentlichkeit kaum auf Interesse. Versuche der Regierung, auf strengere Freigaben hinzuwirken, seien bisher ins Leere gelaufen.

Viele Teilnehmer berichteten, dass man aufgrund der immer schwerer durchsetzbaren Altersfreigaben auf Information der Nutzer und deren Eltern setze. In Spanien haben die Altersfreigaben ohnehin nur einen empfehlenden Charakter, auch in Dänemark sind sie nicht bindend, wenn Minderjährige in Begleitung eines Erwachsenen ins Kino gehen. In anderen Ländern versucht man, die Altersfreigaben mit Verbraucherinformationen zu verbinden, um die Kompetenz der Eltern zu stärken.

Professor Christian Büttner, Projektleiter bei der Hessischen Stiftung für Friedens- und Konfliktforschung (HSFK), führte die unterschiedlichen Jugendschutzregelungen auf verschiedene Sichtweisen der Erwachsenen in Beziehung zur nachwachsenden Generation zurück. Strenge Jugendschutzvorschriften seien vor allem in den Ländern zu finden, in denen man weder der Jugend noch den Erziehungskonzepten der Schulen und der Eltern allzu viel zutraue. Professor Jo Groebel, Direktor des Europäischen Medieninstituts (EIM) in Düsseldorf, machte aufgrund einer im Auftrag der UNESCO durchgeführten internationalen Vergleichsstudie deutlich, dass auch der Gefährdungsgrad der Jugendlichen deutlich kulturabhängig ist. Entscheidend sei vor allem die gesellschaftlich unterschiedliche soziale Kontrolle, aber auch die je nach Verfügbarkeit von Medien unterschiedliche Kompetenz der jugendlichen Zuschauer.

Abschließend wurde der Spielfilm Ali G inda house gesichtet und im Hinblick auf die völlig unterschiedlichen Freigaben in Europa diskutiert. Diese reichen von ohne Altersbeschränkung in Frankreich bis zu frei ab 18 Jahren in Irland. Es zeigte sich, dass trotz der kulturellen Unterschiede eine Einigung auf eine Freigabe zwischen 12 und 16 Jahren möglich gewesen wäre.

Die Konferenz der europäischen Filmprüfstellen fand zum ersten Mal 1995 auf Einladung der FSF in Berlin statt und wird seitdem jährlich in einem anderen europäischen Land fortgesetzt. Das nächste Treffen wird im Oktober 2004 in Paris stattfinden. Ziel ist es, über Information und Kommunikation zu einer Annährung der Freigabepraxis in den europäischen Ländern beizutragen, um so unabhängig von gesetzlichen Regelungen, beispielsweise aus Brüssel, zu möglichst für alle Länder vertretbaren Einstufungen zu gelangen.

Berlin, 8. September 2003

Bei Rückfragen wenden Sie sich bitte an:
Christiane von Wahlert, FSK (Tel.: 0611/ 778 91 10/ Mail: wahlert@spio-fsk.de)
Joachim von Gottberg, FSF (Tel.: 030-23 08 36 20 / Mail: gottbergh@fsf.de)


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