Rückschritt im Jugendmedienschutz – ein Film mehrere Alterskennzeichen.
Kritik am Diskussionsentwurf zur Novellierung des Jugendmedienschutz-Staatsvertrages
Kassel/Wiesbaden, 20. Juni 2022
(Gemeinsame Veranstaltung der FSK und der LPR Hessen)
Am 15. Juni 2022 fanden die traditionellen jährlichen Gespräche zu aktuellen Fragen der Medienregulierung zwischen den Spitzenvertretenden der Hessischen Landesanstalt für privaten Rundfunk und neue Medien (LPR Hessen) und der Freiwilligen Selbstkontrolle der Filmwirtschaft (FSK) statt. Im Zentrum des diesjährigen Meinungsaustausches stand der „Diskussionsentwurf zur Novellierung des Jugendmedienschutz-Staatsvertrages (JMStV)“, veröffentlicht von der Rundfunkkommission der Länder mit Rückmeldefrist bis zum 20. Juni 2022. Neben der Regulierung von Betriebssystemanbietern und Apps sind darin kleinere Anpassungen mit gravierenden praktischen Auswirkungen enthalten. So soll es Anbietern und Selbstkontrollen im Online-Bereich und Rundfunk möglich sein, filmische Inhalte mit FSK-Altersfreigabe abweichend selbst einzuschätzen und ggf. auch jüngeren Altersgruppen zugänglich zu machen. Bislang ist geregelt, dass gesetzliche Freigaben nach dem Jugendschutzgesetz im Rahmen einer Vermutungsregelung auch für die Auswertung Online und im Rundfunk gelten. Diese seit 2003 existierende Konvergenzbrücke zwischen den zwei Gesetzeswerken soll nun abgerissen werden mit weitreichenden Folgen. „Für Kinder, Jugendliche, Eltern und pädagogische Fachkräfte wäre nicht nachvollziehbar, wenn ein und derselbe Film z.B. im Kino und auf Bildträgern mit FSK 12 ausgewertet wird und parallel im Rundfunk oder bei VoD-Anbietern ab 6 oder ab 0 Jahren gekennzeichnet und im Kinderprogramm oder Kinderaccount zugänglich ist“, so Joachim Becker, Direktor der LPR Hessen. „Das Vertrauen auf zuverlässige Altersbewertungen als Orientierung bei der Auswahl von Filmen und Garant für ein unbeschwertes Filmerlebnis mit Kindern und Jugendlichen würde erheblichen Schaden nehmen“ ergänzt Helmut Poßmann, Geschäftsführer der SPIO und der FSK.
„FSK-Altersfreigaben werden in transparenten und unabhängigen Prüfverfahren ermittelt und von den Ländern als gesetzliche Freigabe übernommen. Sie stehen idealtypisch für einen konvergenten Jugendschutz unabhängig vom Vertriebsweg. Der Diskussionsentwurf untergräbt den funktionierenden Jugendschutz für filmische Inhalte ohne Not oder inhaltliche Rechtfertigung“, bemerkt Stefan Linz, Geschäftsführer der FSK. „Um einheitliche Altersfreigaben von filmischen Inhalten zu gewährleisten und Doppelprüfungen zu vermeiden, können Altersbewertungen anerkannter Selbstkontrolleinrichtungen seit 2016 im Durchwirkungsverfahren als gesetzliche Freigaben übernommen werden. Mit der geplanten Neuregelung wird ein neuer Anreiz für Doppelprüfungen und damit auch für unterschiedliche Altersbewertungen identischer Inhalte geschaffen,“ resümiert Prof. Dr. Murad Erdemir, Vize-Direktor der LPR Hessen.
Einen weiteren Fokus legten die Diskutanten auf den neuen Betriebssystemansatz im technischen Kinder- und Jugendmedienschutz. So wurde bereits in den vorangegangenen Gesprächen im Oktober 2021 an die Einhaltung europarechtlicher Vorgaben und die Vermeidung von Überblockaden appelliert. „Technischer Jugendmedienschutz lebt von einer breiten Akzeptanz. Es gilt deshalb einen paneuropäischen Ansatz zu verfolgen, der vor allem App-Anbietern praktikable und einheitliche Umsetzungen ermöglicht. Zudem wird sorgfältig darauf zu achten sein, dass die neuen Vorschriften nicht diejenigen Anbieter benachteiligen, die bereits über gut funktionierende Jugendschutzprogramme und technische Mittel verfügen. Anderenfalls besteht das Risiko der Unterminierung bestehender Jugendschutzstandards“, mahnt Murad Erdemir. Per Videokonferenz im digitalen Raum trafen sich der Direktor Joachim Becker, der Vize-Direktor Prof. Dr. Murad Erdemir sowie die Juristische Referentin der Medienanstalt Hessen, Kerstin Waldeck, gemeinsam mit den Geschäftsführern der FSK, Stefan Linz und Helmut Poßmann, sowie der Syndikusanwältin der FSK und Leiterin von FSK.online, Christina Mack und dem Sprecher der Filmwirtschaft bei der FSK, Peter Kaun.
Der traditionelle Dialog zwischen Regulierern und Selbstkontrolleinrichtung, im April 2014 als „Frühlingsgespräche“ gestartet, soll im Frühjahr 2023 seine Fortsetzung finden.
Kontakt bei Rückfragen:
FSK, Stefan Linz, Tel.: 0611 77891-72
LPR Hessen, Prof. Dr. Murad Erdemir, Tel.: 0561 93586-15
Von links oben nach rechts unten: Prof. Dr. Murad Erdemir (Vize-Direktor der Medienanstalt Hessen), Joachim Becker (Direktor der Medienanstalt Hessen), Helmut Poßmann (Geschäftsführer der SPIO und der FSK), Kerstin Waldeck (Juristische Referentin der Medienanstalt Hessen), Peter Kaun (Sprecher der Film- und Videowirtschaft bei der FSK), Christina Mack (Syndikusanwältin der FSK und Leiterin von FSK.online), Stefan Linz (Geschäftsführer der FSK)